Sprachtraining | 05.10.2020
Von Joana Iser da Silva
In den Zeiten von Corona hat der Virtual Classroom (Webinar) das Lehren und Lernen auch zu besonderen Zeiten ermöglicht und kann in einigen Fällen vielleicht sogar eine gute Alternative zum Präsenzunterricht oder Seminar sein.
Doch welche Vor- und Nachteile hat ein Virtual Classroom (Webinar) gegenüber einem Seminar? Was sind die Vor- und Nachteile gegenüber einem Seminar? Wie ist der Stand der Diskussion? Für welche Lehrformate eignet sich der Virtual Classroom besonders gut?
Im Virtual Classroom bzw. im Webinar findet das Lehren und Lernen im virtuellen Raum statt. Lehrende und Lernende treffen sich auf einer virtuellen Plattform zum gemeinsamen Informationsaustausch und zur Wissensvermittlung.
In der Regel wird ein Virtual Classroom live in einem festgelegten Zeitraum und somit synchron übertragen. Die Teilnehmer können dabei auf ganz unterschiedlicher Art und Weise kommunizieren. Es bieten sich zum Beispiel die Audio- und Videofunktion an, die Chat-Funktion, das Bildschirmteilen und das interaktive Whiteboard, sodass alle Teilnehmer zur gleichen Zeit das Gleiche hören, sehen und erleben
Die Einführung eines Virtual Classrooms bedeutet, dass das bestehende Bildungssystem und veraltete Lernkonzepte aufgebrochen werden müssen. In einem Virtual Classroom steht oftmals der Input des Lehrenden im Vordergrund. Dieser gibt die Struktur und den Ablauf vor. Dabei entscheidet der Lehrende, ob der Virtual Classroom durch Präsenzphasen ergänzt werden soll oder es sich dabei um reines Online-Training handeln soll. Auch die Gewichtung zwischen frontalem und aktivem Unterricht liegt in der Hand des Lehrenden. In einem Virtual Classroom nimmt der Lehrende eine neue Rolle gegenüber den Lernenden ein. Er wird immer mehr zum Wegweiser.
Die Einführung des Virtual Classrooms bedeutet auch eine Veränderung der gewohnten Lernerrolle. Da nicht mehr im Rahmen der Institution gelernt wird und die Lernenden auch zeit- und ortsunabhängig lernen können, werden nun auch höhere Anforderungen an die Disziplin oder das Zeitmanagement gestellt. Es wird erwartet, dass diese das Angebot des Virtual Classrooms wahrnehmen, nutzen und sich selbstständig darin organisieren. Zum Lernprozess kommt also noch ein Organisationsprozess hinzu
Der große Vorteil gegenüber einem Seminar liegt in der dezentralen Ent-Ortung ́ und Ent-Fernung ́des Lernens. Das spart Zeit und Geld, da die Anfahrt zum Veranstaltungsort wegfällt und in vielen Fällen sich die Kosten für Seminarräume einsparen lassen. Daneben können die Lehrenden und Lernenden ihren Veranstaltungsort individuell und flexibel bestimmen
Die Live-Übertragung des Virtual Classrooms kann theoretisch aufgezeichnet werden und im Anschluss in einer Mediathek abgespeichert werden, sodass diese länger zur Verfügung steht und flexibel abgerufen werden kann.
Über das Lehren und Lernen in Virtual Classrooms fördern sowohl die Lehrenden als auch die Lernenden ihre digitale Affinität und Sensibilität
Durch die vielen Funktionen und Werkzeuge der Software-Anbieter werden verschiedene Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden ermöglicht. Manchmal steht auch ein Umfragetool zur Verfügung, mit dem im virtuellen Raum Live-Umfragen durchgeführt werden können, die im Anschluss sogar statistisch präzise ausgewertet werden und so zum Beispiel Stimmungsbilder der Teilnehmer veranschaulicht.
Über das Teilen eines Dokumentes kann gemeinsam daran gearbeitet werden. Selbst nach der Sitzung steht den Teilnehmern das Dokument in digitaler Form zur Verfügung
Einer der größten Nachteile ist die physische Abwesenheit und der fehlende Blickkontakt. Oft haben die Lernenden die Videofunktion ausgeschaltet, sodass der Lehrende und die anderen Lernenden nicht alle Teilnehmer des Virtual Classrooms sehen können. Hinzu kommt, dass der Lehrende die Lernenden auch nicht kontrollieren kann, wenn dieser sie nicht sieht. So ist für dn Dozenten schwer kontrollierbar, ob die Lernenden träumend zum Fenster schauen, E-Mails checken oder gerade Whatsapps schreiben. Dadurch kann es dem Lehrenden schwerfallen eine Beziehung zu den Lernenden aufzubauen und zu überprüfen, ob seine Worte verstanden wurden und gut angekommen sind die Lehrenden und Lernenden können sich nicht so wahrnehmen, wie sie es vielleicht live bzw. in Präsenz tun würden und bekommen kein Gefühl dafür, wer die anderen Teilnehmer sind, was sie bevorzugen oder ablehnen, denn die intuitive Menschenkenntnis läuft ins Leere.
Beim Online-Training ist die Ablenkung nur ein Klick entfernt. Wenn Lernende gelangweilt sind, können sie sich schnell und bequem einer widmen und zum Beispiel Emails durchlesen oder Online-Shopping betreiben. Die Lernenden können somit ihre Unsichtbarkeit als Teilnehmer im Virtual Classroom bewusst ausnutzen.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Technik. Wenn diese Probleme macht, kann das zu Unterbrechungen des Online-Trainings führen und dann leidet die Qualität darunter.
Mit der aktuellen Corona-Situation sind Bildungs- und Weiterbildungsinstitutionen mehr oder weniger dazu gezwungen oder dazu motiviert sich dem E-Learning zu nähern. In den letzten Monaten fielen die Präsenzveranstaltungen aus, sodass Alternativen geschaffen werden mussten.
Nach drei Monaten Erfahrung mit dem Online-Training in Virtual Classrooms machte ISEU eine qualitative Umfrage dazu. Daraus ergab sich Folgendes: Die Flexibilität und die digitale übersichtliche Darstellung der Lerninhalte auf One Note wurde von den Teilnehmern sehr positiv aufgenommen. Doch die meisten bescheinigten dem Präsenztraining eine bessere Interaktionsmöglichkeit zwischen den Teilnehmern untereinander und mit den Dozenten. Im Allgemeinen werden Sprechpausen, Körpersignale und Unterbrechungen im Präsenztraining besser wahrgenommen. Eingehende E-Mails und Pop-Ups erhöhen beim Online-Training die Wahrscheinlichkeit der Ablenkung. Viele sehen im Online-Training eine praktikable Alternative, wenn man verhindert ist am Präsenztraining teilzunehmen. Die Mehrheit war von den Möglichkeiten, die ein solches Format bietet positiv überrascht, aber für ca. 80 % ist der Präsenzunterricht die erste Wahl.
Zu Zeiten von Corona durften auch in meinem Fachbereich Online-Kommunikation an der Hochschule Darmstadt keine Präsenzveranstaltungen stattfinden. Das Präsenzprogramm wurde kurzerhand durch Virtual Classrooms ersetzt. Es war sehr ungewohnt die Professoren und Kommilitonen nur über die Kamera zu sehen, sofern diese überhaupt eingeschaltet waren.
Positive Erfahrung machte ich, wenn die Möglichkeiten eines Virtual Classrooms weitgehend ausgeschöpft wurden (Chat, Breakout-Sessions, Whiteboard etc.).
Doch machte ich auch viele negative Erfahrungen, wenn zum Beispiel einige Dozenten nicht überzeugt vom Virtual Classroom schienen bzw. keine Erfahrungen damit hatten. In solchen Fällen fehlte die Motivation auf beiden Seiten und der Ablauf war eher chaotisch.
Es war allgemein auch wahrzunehmen, dass die Beteiligung eher geringer war als im Präsenzseminar.
Meiner persönlichen Einschätzung nach ist das Virtual Classroom ein wichtiges Instrument für die Bildungs- und Weiterbildungsinstitutionen sowohl in der Hochschullehre als auch im Corporate Learning, weil es nicht sehr aufwendig ist zu organisieren und dem Präsenzseminar bei weitgehender Ausschöpfung aller Möglichkeiten relativ nahe kommt und gleichzeitig weniger abhängig ist von Faktoren wie Raumbelegung, hohen Kosten, Anfahrt etc. Allerdings bringt ein Virtual Classroom erst seinen wirklichen Nutzen, wenn dieser gut aufgebaut ist und sowohl die Lehrenden als auch Lernenden motiviert und offen sind daran teilzunehmen. Dazu gehört auch die erforderliche Selbstdisziplin sich nicht von eingehenden Emails und Pop-Ups ablenken zu lassen. Die Kombination aus Präsenzlehre und Online-Training in Virtual Classrooms (Blended-Learning) scheint m.E. ein zukunftsfähiges Modell zu sein, da dabei die Vorteile beider Formen voll ausgeschöpft werden können.
Joana Iser da Silva ist Studentin der Online-Kommunikation an der Hochschule Darmstadt.