Iseu Logo
Locale
Jetzt kontaktieren

Preis-Leistung Sprachtraining | 29.09.2023

[

Sprachzertifikate im Fokus: Zuverlässigkeit, Herausforderungen und Zukunftsaussichten – Ein Gespräch mit Stefan Iser

]

Mit einem Sprachzertifikat soll man seine Sprachkenntnisse nachweisen können. Doch es ist nicht immer so einfach – oft ist nicht das drin, was draufsteht, erläutert der Sprachdienstleister Stefan Iser in einem Interview und nennt mögliche Lösungsansätze.

Von Joana Iser da Silva 

 

Sprachzertifikate spielen in der heutigen globalisierten Welt eine entscheidende Rolle bei der Bewertung von Sprachkenntnissen und der beruflichen Qualifikation. Sie dienen als anerkannte Leistungsnachweise über die Beherrschung einer Fremdsprache und sind oft ein maßgeblicher Faktor bei Bewerbungen, Karrierechancen und Bildungsmöglichkeiten. Für viele sind sie von daher ein begehrtes Ziel im Sprachunterricht.

Doch wie aussagekräftig und zuverlässig sind solche Zertifikate? Und welchen Einfluss haben sie auf den Sprachunterricht und die berufliche Zukunft der Sprachschüler?

In einem Interview mit Stefan Iser, Spezialtrainer für Deutsch und Geschäftsführer von ISEU Language for Business GmbH, gibt uns dieser einen Einblick in die Welt der Sprachzertifikate. Dabei wirft er einen kritischen Blick auf die Frage der Zuverlässigkeit. Außerdem erklärt er, wie solche Zertifikate sich auf die Schüler und ihren Lernprozess auswirken und seinen Alltag als Sprachdienstleister beeinflussen. Zum Schluss geht er auf mögliche Lösungsansätze ein.

 

Interviewer: Herr Iser, wir werden heute über das Thema Sprachzertifikate sprechen. Könnten Sie mir bitte kurz erklären, was man denn allgemein unter einem Sprachzertifikat versteht?  

Stefan Iser: Ein Sprachzertifikat soll praktisch eine Möglichkeit schaffen, um Sprachkenntnisse besser vergleichbar zu machen und eine erleichterte Einteilung in unterschiedliche Niveaustufen zu ermöglichen. Dafür gibt es Kriterien in Form von Soll- und Kann-Beschreibungen, die definieren, welche Kenntnisse auf einer gewissen Niveaustufe erwartet werden. Das heißt: Jemand, der eine Sprachprüfung bestanden hat, sollte gewisse Dinge in der Zielsprache einfach beherrschen.

 

Interviewer: Von wem werden diese Kriterien entwickelt und definiert?

Stefan Iser: Es gibt verschiedene Anbieter von Sprachzertifikaten. Wenn wir von Deutsch als Fremdsprache sprechen, gibt es in Deutschland zum Beispiel das Goethe-Institut und die TELC. Sie gehören zu den größten Anbietern, die solche Tests und Kriterien für Sprachzertifikate entwickeln. 

 

Interviewer: Und welche Bedeutung haben solche Zertifikate für den Sprachunterricht? Was sind die Vor- und Nachteile?

Stefan Iser: Ein Vorteil ist die Vergleichbarkeit. Wenn jemand beispielsweise A2 erfolgreich absolviert hat und über die entsprechenden Fähigkeiten, die in den Kann-/Soll-Beschreibungen definiert werden, verfügt, kann ich als Sprachlehrer diese Person nahtlos in die Niveaustufe B1 überführen. Doch oft kann man sich nicht auf die Zertifikate verlassen. Das liegt auf der einen Seite an den Beschreibungen selbst, weil sie mehr die sprachlichen Mittel bzw. die Kommunikationsfähigkeit in den Vordergrund stellen. Nur kommunikationsfähig ist jemand schon, der grammatikalisch falsche Sätze produziert, aber trotzdem verstanden wird. So gibt es zum Beispiel die sogenannten „fließend Falschsprecher“, mit denen man sich über nahezu alles problemlos unterhalten kann; allerdings machen sie dabei viele sprachliche Fehler. Und nicht selten kommt es vor, dass eben diese Personen dennoch ein Zertifikat erhalten. Wenn sie sich nun dafür entscheiden, bspw. mit B1 weiterzumachen, dann muss ich als Sprachlehrer mich aber darauf verlassen können, dass sie unter anderem circa 70 Stammformen unregelmäßiger Verben aus dem FF beherrschen und wissen, wie man Sätze grammatikalisch korrekt zusammenbaut.

 

Interviewer: In diesem Zusammenhang wird gelegentlich der Begriff "Zertifikatsschwindel" verwendet. Unter welchen Umständen kann tatsächlich von einem solchen Schwindel gesprochen werden und aus welchen Gründen?

Stefan Iser: Schwindel impliziert, dass jemand absichtlich manipuliert. In vielen Fällen passiert es jedoch unabsichtlich. Aber ich habe halt sehr viele Kandidaten aus aller Herren Länder, die hierherkommen und mir dann ein B1- oder B2-Zertifikat präsentieren, das nicht unbedingt ihren tatsächlichen Sprachkenntnissen entspricht. Denn in Wirklichkeit haben die meisten von ihnen einen unglaublichen Nachholbedarf aus den unteren Niveaustufen A1 und A2. Das heißt: Sie haben entweder schlecht gelernt oder wurden in ihren Anfängerkursen schlecht unterrichtet. Da bilden sich dann Lücken, die nie richtig ausgebügelt werden.

Und ich will niemandem etwas unterstellen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung als Prüfer, dass viele meiner Kollegen besonders wohlwollend sind und niemanden durchfallen lassen möchten. Denn für viele hängt schließlich auch eine berufliche Zukunft davon ab. Das wiederum kann dann allerdings zu irreführenden Bewertungen führen. Und das halte ich für fatal, gerade im Hinblick darauf, dass einige Prüflinge später mal in Deutschland am OP-Tisch arbeiten.

 

Interviewer: Und wie gehen Sie mit dieser Thematik um? Wie decken Sie möglichen "Zertifikatsschwindel" frühzeitig auf? Führen Sie zum Beispiel vor Kursbeginn Einstufungstests durch, um zu überprüfen, ob die Zertifikate der Schüler auch wirklich ihren tatsächlichen Fähigkeiten entsprechen?

Stefan Iser: Wir führen keine Einstufungstests durch. Wir lehnen das sogar mit Einschränkungen ab. Denn solche Test-Formate bestehen in der Regel zu einem großen Teil aus Multiple-Choice-Aufgaben. Das heißt: Schüler können sich durch zufällige Antworten leicht durchmogeln und am Ende trotzdem gute Testergebnisse erzielen. Besser geeignet wären Aufgaben mit frei einsetzbaren Sprachbausteinen, die natürlich aufwändiger zu korrigieren sind.

Wir bei ISEU führen stattdessen immer ein persönliches Assessment-Gespräch am Telefon oder in einer Videokonferenz. Das Gespräch dauert ca. 15 Minuten. Darin fragen wir dann mündlich in einem Dialog wichtige sprachliche Strukturen ab und erfahren dadurch schon sehr viel über die tatsächlichen Sprachfähigkeiten des Schülers. Und vor allem erfahren wir auch, wie der Schüler spricht. Nach dem Gespräch lassen wir ihn u.U. noch einen kurzen Vorstellungstext schreiben. Auf unteren Niveaustufen bedeutet das, dass sie sich kurz vorstellen und über ihre Familie, Arbeit und Hobbys schreiben. Anhand dieses Textes kann ich als Sprachlehrer dann auch schon sehr viel erkennen. So sehe ich zum Beispiel, wie differenziert der Wortschatz angewendet wird und auf höheren Niveaustufen erwarte ich dann schon mal auch eine komplexere Beschreibung der beruflichen Tätigkeit.

Letztendlich führt jedoch nichts an der Einführung neuer Testformate vorbei. Aktuelle Testformate bewegen sich immer mehr in Richtung Multiple-Choice. Das ist zwar ökonomisch bei der Korrektur, weil solche Tests schnell korrigiert sind und damit den Testanbietern wenige Kosten verursachen. Doch ich halte sie für wenig aussagekräftig. Handgeschriebene Texte und mündliche Dialoge mit dem Lehrer – das ist aussagekräftig! Die Tests müssen sich dahingehend ändern. Wir brauchen neue Formate, auf die sich die Unternehmen auch verlassen können.

Denn gerade die Firmen haben oft klare Anforderungen an die Sprachkenntnisse. Doch sie erleben häufig Enttäuschungen: Ein Bewerber mag bspw. zwar ein B1-Zertifikat vorweisen, jedoch entpuppt sich seine mündliche Kommunikation dann schnell als unzureichend und fehlerhaft.

 

Interviewer: Wie etabliert sind diese Zertifikate? Und wie handhabt es ISEU, wenn das Unternehmen sich von diesem Konzept distanziert? Wird den Schülern dann dennoch eine Einschätzung ihrer erreichten Niveaustufe mitgeteilt? 

Stefan Iser: Zertifikate sind häufig ein wichtiges Lernziel für viele Schüler, weil diese beruflich verwertet werden können. Wir von ISEU halten uns jedoch da komplett raus und geben keine eigenen Zertifikate raus, sondern nur Teilnahmebescheinigungen. 

Wenn unsere Schüler dennoch ein Zertifikat möchten, bitten wir sie sich bei Anbietern wie dem Goethe-Institut oder einer örtlichen Volkshochschule prüfen zu lassen. Wir bereiten sie dann darauf vor und sagen auch ehrlich, ob jemand schon auf dem gewünschten Zielniveau steht oder nicht. Wir schicken unsere Schüler immer erst dann in Prüfungen, wenn wir auch wirklich davon überzeugt sind, dass sie diese auch bestehen würden. Unternehmen können sich dann auch darauf verlassen, dass ihre Arbeitnehmer wirklich so weit sind.

 

Interviewer: Möchten Sie abschließend noch etwas ergänzen?

Stefan Iser: Meine wichtigste Forderung ist die Entwicklung neuer Testformate, die einen wesentliche höheren Anteil an selbstgeschriebener Textproduktion haben und wesentlich weniger Multiple-Choice-Aufgaben beinhalten. Das würde die Zuverlässigkeit und Aussagekraft von Zertifikaten deutlich verbessern. Heute ist das noch eine Marktlücke, die wir in Zukunft vielleicht schließen können. Mal sehen.

Interviewer: Dann sind wir gespannt, wie sich das entwickeln wird. Viel Dank für das Gespräch.

 

Das Interview wurde live in einer Videokonferenzschaltung geführt und liegt in einer wörtlichen einfachen Transkription vor.

 

 

Zur Blogübersicht