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Aussprache Sprachtraining | 01.02.2021

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Minimalismus beim Sprachenlernen: Weniger ist mehr!

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Minimalismus beim Sprachenlernen: Weniger ist mehr! 

Von Stefan Iser 

"Kennste schon die neue Vokabel-App?" ... Da kommt schon einiges zusammen, wenn man als Sprachdozent mal eine Liste darüber führt, was Kollegen und Schüler einem so tagtäglich an Ergänzungsmaterialien für den Unterricht herantragen. Angefangen von einer beachtlichen Anzahl an Übungsgrammatiken über unzählige Vokabel-Lern-Apps bis hin zu immer vielseitigeren Online-Lernangeboten, die gleichzeitig auch noch immer mehr können. 

ABER WAS KÖNNEN DIE LERNANGEBOTE WIRKLICH? 

Zumindest können sie eins: den Schüler ganz schön verwirren. Der heutige Dschungel an Sprachlernmaterial ist so unüberschaubar, dass der Wald vor lauter Bäumen kaum noch zu sehen ist. Und täglich kommt neues Material hinzu. In den 60er Jahren war das einfacher: Da gab es einfach nur die "Sprachlehre Deutsch" von Schulz/Griesbach. Für meine Begriffe immer noch mit das beste Lehrwerk, das je geschrieben wurde. Einfach, systematisch strukturiert und absolut zielführend. Braucht man eigentlich mehr? Gundsätzlich könnte man ja meinen, dass jede Art der Beschäftigung mit der Zielsprache vorteilhaft sein könnte. Ich teile diese Ansicht nicht uneingeschränkt. 

HILFE! - NOCH EIN ERKLÄR-VIDEO

Machen Sie den Selbsttest und googeln Sie ein beliebiges Grammatikthema. Ich habe es gerade mit den Suchbegriffen Deutsche Grammatik + Dativ getan: Stolze 21.000 Suchergebnisse wurden mir in der Google-Sektion Videos nach 0,28 Sekunden präsentiert. Doch ganz ehrlich: Was will man mit so viel Vielfalt? Heutzutage stellt jeder, der was auf sich hält, immer gleich ein Video bei Youtube rein. Wäre es nicht wesentlich sinnvoller, eine kleine überschaubare Auswahl bereits vorhandener Videos einfach zu empfehlen?    

BESSER NUR EINE GRAMMATIK - ABER EINE GUTE! 

Grammatiken unterscheiden sich - und wie in jeder Wissenschaft gibt es unterschiedliche Ansätze, die alle irgendwo ihre Berechtigung haben. Die Autoren von Übungsgrammatiken erklären in der Regel präskriptiv und bedienen sich dabei ihrer eigenen Sprache. Manchmal ist klar erkennbar, welcher Schule sie dabei folgen, oft ist es aber auch ein Mischmasch aus verschiedenen Quellen - was nicht weiter schlimm sein muss! 

PRÄSKRIPTIV ODER DESKRIPTIV? DER SPRACHDOZENT IST MITTLER 

Der Sprachdozent jedenfalls tritt als Mittler auf zwischen der deskriptiven wissenschaftlichen Grammatik und der präskriptiven Übungsgrammatik, die er seinen Lernenden empfiehlt. Er ist es, der im Zweifelsfall das komplexe grammatische Wissen auf einfache Formeln herunterbrechen muss und sich in seinen Erklärungen auch manchmal über das Geschriebene in einer Übungsgrammatik hinwegsetzen muss.  

EINE GRAMMATIK MUSS ZUM SPRACHDOZENTEN PASSEN 

Vertrauen sie darauf, dass Ihr Sprachdozent eine Auswahl trifft, die zu seiner Mittlerrolle am besten passt. Denn alles, was jetzt außerplanmäßig von außen hinzukommt, ist nicht nur oft redundant, sondern auch hochgradig verwirrend. Ich kenne beispielsweise Grammatiken, die die Adjektivdeklination mit fünf (!) Tabellen erklären,  andere tun es  mit drei und ich selbst  benötige dafür nur eine Tabelle. 

Genauso verhält es sich mit Lehrbüchern und Lern-Apps. Auch diese sollten der Mittlerrolle des Sprachdozenten gerecht werden und nicht einem Selbstzweck dienen. 

VOKABELTRAINING BRAUCHT SYSTEMATIK 

Dass man im Alltag in nahezu allen Situationen wichtiges Vokabular aufschnappen und verinnerlichen kann, versteht sich von selbst. Ansonsten ist Vokabeltraining nur dann effizient, wenn es mit Systematik ins gesamte Unterrichtskonzept eingebettet wird. Zu viel Beliebigkeit halte ich hier für tendenziell schädlich, weil man die Zeit sinnvoller einsetzen könnte. 

EINE AKRIBISCHE AUSWAHL TREFFEN

Die Auswahl des richtigen Vokabulars ist eine äußerst akribische Entwicklerarbeit. Hier sind Feinabstimmungen zu treffen wie etwa welches Wort zu welchem Zeitpunkt am besten eingeführt werden soll oder in welcher Reihenfolge dabei vorgegangen wird. Auch das Zusammenstellen thematischen Wortschatzes erfordert ein hohes Maß an Expertise. 

MEHR MINIMALISMUS WAGEN!

Meine Erfahrungen sprechen eine eindeutige Sprache: Es ist besser, die Anzahl der eingesetzten Lehr- und Übungsmaterialien sehr überschaubar zu halten. Dem Sprachdozenten obliegt die Aufgabe für den Schüler eine sorgfältige Auswahl zu treffen. Man sollte es ruhig einmal nach dem Motto versuchen: Masse ist nicht Klasse - Mit weniger lernt man mehr! 

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